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Beitrag vom 22.01.2003
Für mich liegen die Geschichten auf der Straße
Britta Bodenstein
Fritz Baumann im Gespräch mit AVIVA-BERLIN anlässlich seines neuen Films "Anansi - Der Traum von Europa"
Ich bin mit dem Filmemacher Fritz Baumann zum Interview verabredet. Wir treffen uns in den Potsdamer Platz Arkaden, setzen uns im Eiscafé an einen Ecktisch, beginnen mit dem Interview trotz etwas störender Hintergrundgeräusche - Reden, Geschirrklappern. Ich frage Baumann, ob er was dagegen hat, dass ich das Gespräch aufnehme, was er mit den Worten kommentiert: "Ich bin heute schon Kummer gewöhnt".
AVIVA-BERLIN: Herr Baumann, Sie sind der Regisseur von Anansi - Der Traum Von Europa", können Sie kurz etwas über sich selbst erzählen?
Fritz Baumann: Ich bin vom chinesischen Horoskop her Tiger, 1950er Jahrgang, und reiste dann Anfang der siebziger Jahre als Entwicklungshelfer nach Jamaika, woher sich auch mein Bezug zu diesen Themen erklärt. Meine Frau ist Jamaikanerin, und ich habe dort einige Filme gemacht, bis ich dann auf die Filmhochschule in München ging.
Jamaika hat mich als Motiv fasziniert, weil dort die Geschichten auf der Straße lagen.
AVIVA-BERLIN: Welche Themen interessieren Sie besonders?
Fritz Baumann: Bei den Dreharbeiten von "Die Reise des Löwen" stieß ich auf die Geschichte von den "Hamburgern", die Geschichte von den Glücksrittern aus Ghana, die sich auf den Weg von Afrika nach Europa machen.
Durch meine langjährige Arbeit in den Ghettos von Kingston kenne ich die Wünsche und Sehnsüchte der Armen, habe mich immer als ihr Sprachrohr empfunden. Als Filmemacher bin ich besser in den Hütten, als in den Palästen.
AVIVA-BERLIN: Zu der Situation während der Dreharbeiten - wie sehen Sie Ihre Rolle als Regisseur, wie war die Zusammenarbeit in dem Filmteam?
Fritz Baumann: Mir ist immer wichtig, den Leuten die Möglichkeit zu geben, sich selbst darzustellen, ich bin nicht der Diktator an der Spitze der Hierarchie.
Für Anansi suchte ich Schauspieler, die aus Westafrika kommen und ihre Lebenserfahrungen auch in den Film mit einbringen können. Wir sind die Route der Illegalen gegangen und haben auch physisch erlebt, was die erlebt haben. Wir haben unsere Ausrüstung durch die Wüste geschleppt, wie die ihre Freunde mitschleppen.
AVIVA-BERLIN:: War es schwierig den Film zu finanzieren?
Fritz Baumann: Gemeinsam mit Rolf Basedow, dem bekannten Drehbuchautor, fing ich an zu schreiben.
Afrika ist nicht "sexy". Das Thema ist aufgrund der Kolonialgeschichte immer noch mit Schuldkomplexen behaftet. Tibet oder der Dalai Lama wären leichter zu vermarkten, dass spricht die Esoteriker an.
Der Film hat stark polarisiert, wir haben ein Jahr gekämpft, bis wir die bescheidenen Mittel, die wir beantragt haben, auch bekommen haben. Arte ist zum Beispiel Coproduzent.
AVIVA-BERLIN: War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie einen Spielfilm machen wollten und keinen Dokumentarfilm?
Fritz Baumann: Ich wollte es ursprünglich als Dokumentarfilm machen. Aber ich unterscheide eigentlich nicht zwischen den Genres. Am liebsten drehe ich mit einem sehr kleinen Team, weil man damit sehr flexibel arbeiten kann. Nur bei dem Thema war das natürlich nicht mehr möglich, weil wenn die Menschen nachts illegal über die Grenzen gehen oder sich in Containern verstecken, das kann man dann natürlich nicht mehr drehen.
Man muss oft inszenieren um dokumentarisch zu drehen.
AVIVA-BERLIN: War es für Sie eine besondere Herausforderung, mit bekannten Schauspielern zu drehen?
Fritz Baumann: Sagen wir mal so, die Geschichte war der Traum jedes afrikanischen Schauspielers. Die sind sonst hauptsächlich gewöhnt, nur als Zuhälter oder Kleinkriminelle in irgendwelchen blöden TV-Serien besetzt zu werden.
Wir haben mit sehr geringem Budget gedreht und hatten ein multikulturelles Aufnahmeteam. In Ghana gibt es z. B. eine kleine Filmhochschule die, von der Münchner Filmhochschule mit aufgebaut wurde.
AVIVA-BERLIN: Welche besonderen Probleme gab es während des Drehens?
Fritz Baumann: Dadurch, dass wir ja die Reiseroute der Immigranten gegangen sind, ist es zu Kontakten mit der lokalen Bevölkerung gekommen. Schauspieler sind mit Steinen beworfen und beschimpft worden. In Spanien gab es auch anonyme Anzeigen, weil die Schauspieler mit "Illegalen" verwechselt wurden.AVIVA-BERLIN: Im Nachhinein, was gefällt Ihnen besonders an Ihrem Film, oder würden Sie etwas anders machen?
Fritz Baumann: lacht. Oh...ich würd" alles anders machen...
Man findet immer Fehler.
Ein Film ist wie eine chemische Reaktion, man hat nicht alles unter Kontrolle!
Aber ich glaube, die Geschichte ist sehr stark, es wird ein Ur-Mythos angesprochen: woanders scheint es immer schöner. Auch hier sind, als große Not herrschte, im 18. Jahrhundert Tausende nach Nordamerika ausgewandert.
AVIVA-BERLIN: Kann es sein, dass "Political Correctness" dem Film auch in die Quere kommt?"
Fritz Baumann: Da muss man aufpassen, das man den Rechten keine Munition liefert. Deswegen bilden meine Figuren eine gemischte Gruppe, politisch Verfolgte, Wirtschaftsflüchtlinge, wie Sir Francis, der ja fast wie eine Comic Figur überzeichnet ist - aber solche Leute gibt es da tatsächlich.
AVIVA-BERLIN: Wie beurteilen sie die Frauenrollen im Film?
Fritz Baumann: Wenn ich jetzt den Film überarbeiten würde, würde ich die Frauen viel stärker darstellen.
Die Männer sind eher arbeitslos als die Frauen, die Frauen müssen das Leben am laufen halten. Viele der Entwicklungsprogramme arbeiten jetzt vor allem mit den Frauen, weil sie wissen, da ist eine größere Kontinuität.
Bei der Filmarbeit ist es so, dass man es mit einem Heer von Männern zu tun hat, die schreien "hey, nimm mich, ich seh gut aus, ich kann was!"
Die Frauen sind viel zurückhaltender. Die Männer rennen einem die Bude ein.
AVIVA-BERLIN: Was sind Ihre neuen Projekte?
Fritz Baumann: Also, ich drehe gerade einen Film für den WDR über deutsche Auswanderer nach Amerika. Und ich mache "Inschallah", einen Film mit dem Reggae-Popstar Shaggy, den ich noch von Jamaica kenne. Er hat ja Anansi großartig unterstützt, er hat mir einen Song geschenkt. Jetzt hätte ich eben die Möglichkeit, hinter die Kulissen eines Superstars zu gucken.
AVIVA-BERLIN: Herr Baumann, was soll man - bzw. frau - aus dem Film mitnehmen?
Fritz Baumann: Mein größter Wunsch ist, dass die Leute rausgehen und die Afrikaner mit anderen Augen sehen, und ihnen mit Respekt begegnen. Und den Afrikanern, die diesen Film sehen, denen möchte ich eigentlich zeigen, dass am Ende des Regenbogens kein Geldtopf auf sie wartet. Sondern, dass in Europa ein schrecklicher Alltag für sie beginnt, und dass sie sich überlegen sollen, ob sie ihr Leben riskieren... Im Mai 2003 ist Premiere von "Anansi" in Ghana.
Lesen Sie auch unsere Filmkritik zu "Anansi - Der Traum von Europa".